Erstmal an Fred: Prinzipiell gebe ich dir recht, auch deshalb antworte ich selten auf Beiträge Angehöriger... denn ich verstehe das oft nicht.
Hier liegen aber zusätzlich zum 'Helfersyndrom' der Mutter noch erschwerte Bedingungen vor. Das ändert einerseits nicht viel, andererseits kann ich aber von mir selbst sagen, daß ich froh gewesen wäre, wenn in meiner Kindheit und Jugend jemand dagewesen wäre, der mir geholfen hätte, im Alltag zurechtzukommen. Nicht, indem er mir irgendwas 'abnimmt', sondern eher, indem er mir Dinge erklärt, statt mich auszuschimpfen. Das war auch vor meiner 'Suchtkarriere' schon so. Das Wie ist eben nur das Schwierige daran.
Es ohne Feedback von Außen selber zu lernen ist frustrierend, langwierig, und sehr anstrengend... und selbst mit Unterstützung ist es nie hundertprozentig machbar. Ohne ist es aber noch schwerer bis unmöglich.
In solchen Fällen gibt es dann eben nicht nur Schwarz oder Weiß, und zumindest Hilfe zur Selbsthilfe ist dann nicht nur okay, sondern sogar erforderlich. Nur darf auch da eine gewisse Grenze eben nicht überschritten werden.
Aber Alexandra versucht ja eben genau das... die richtige 'Dosis' zu finden. Jetzt muß er nur noch 'Mitmachen', denn es gehören ja immer Zwei dazu, Genug ist also auch da trotzdem Genug, wenn der Andere sich querstellt. Wie du schon sagtest: Konsequenzen eben.
Unterstützung ist aber sehr wertvoll, wenn er sie möchte. Nur sollte man sich dabei, wie in jedem anderen Fall auch, eben nicht selbst 'verbiegen', und die eigenen Ziele und Bedürfnisse von denen des Gegenübers trennen können.
Aber dieses Zitat sagt da eigentlich alles. Beim Lesen habe ich gestern wahrscheinlich sogar mit dem Kopf genickt, und es hat mich dann dazu gebracht, jetzt doch etwas zu schreiben:
Behandele ihn als selbstständigen Menschen, lass ihn spüren, dass Du ihn als vollwertige Person siehst. Begegne ihm auf Augenhöhe. Automatisch spürt er doch die Tragweite seines Handelns und fühlt sich verantwortlich für sich selbst.
Ja, verdammt, genauso ist es!
Und das mußte nicht nur ich lernen, sondern auch meine bessere Hälfte.
Aber 'Augenhöhe' zu halten ist auch schwierig, wenn ein gewisses 'Abhängigkeitsverhältnis' besteht. Ich gebe das nicht gerne zu, denn das ist bei mir immernoch sehr schambehaftet, aber es ist auch bei mir so. Ich kann völlig überreagieren, wenn ich mich bevormundet fühle, und im nächsten Moment stehe dann in einer völlig banalen Situation hilflos da, und weiß nicht, was ich tun soll. Ja... bei Weitem nicht alle, aber einige der Beispiele der Alltagsprobleme von Alexandra's Sohn könnten von mir sein. Damit umzugehen und den 'Mittelweg' zu finden ist für keinen der Beteiligten einfach.
Für mich war es ein sehr steiniger Weg, gerade auch wegen der Akzeptanz. Und ja... nicht zuletzt wohl auch ein Grund, warum ich hier bin.
Wäre mein Umfeld nicht so stabil und tolerant, wäre das Ganze jedenfalls weitaus schwieriger. Dafür bin ich sehr dankbar, denn auch das leistet einen nicht unerheblichen Beitrag zu meiner andauernden Abstinenz.
Hallo Alexandra,
auch von mir ein herzliches Willkommen..
Ich habe lange überlegt, ob und wie ich darauf antworte, denn ich wollte nicht 'rüberkommen' wie Fred hier (dem ich, obwohl wir uns beileibe nicht immer einig sind, zumindest in diesen Punkten normalerweise insgeheim - also unausgesprochen - zustimmen würde), und eigentlich auch nicht zuviel Privates schreiben, was ich aber müßte, um das von mir Gesagte damit einigermaßen relativieren zu können.
Nun ja, nun habe ich in meiner Antwort an Fred ja schon damit angefangen, also kann ich auch weiterschreiben.
Ich verstehe tatsächlich auch nicht alles an dem, was du schreibst, und das liegt nicht an der Struktur deiner Beiträge - im Gegenteil, die ist angenehm 'ordentlich' - sondern eher am Inhalt, wohl auch weil ich diese Art von starken Bindungen in der Familie (bzw. der Eltern-Kind-Beziehung) nicht kenne.
Und ich hatte ein anderes familiäres Umfeld - quasi der umgekehrte Fall. Hinzu kommt auch noch die Tatsache, daß ich mir inzwischen wohl eingestehen muß, daß auch bei mir selbst da oben so einiges 'falsch verdrahtet' ist, wenn auch auf eine andere Weise.
Auch wenn vieles von dem, was du schreibst, auch in mir irgendwie eine Art 'Abwehrhaltung' auslöst (bei Partnerinnen ist das oft allerdings nochmal deutlich ausgeprägter) - die Schwierigkeiten, die mit einer solchen Konstellation einhergehen, kenne ich daher zumindest schon, wenn auch aus einer anderen Perspektive - und das gleich im doppelten Sinne.
Denn bei mir zu Hause bin ich die spielsüchtige Person. Zudem wurde bei meinem Vater im Rahmen eines stationären Klinikaufenthaltes aufgrund von Depressionen vor drei Jahren ADHS diagnostiziert. Das erwähnte er beiläufig, als ich ihn das letztes Mal sah... also Weihnachten 2020. Er ist heute 64 Jahre alt, und in EU-Rente.
Es hat damals trotzdem ein paar Wochen gedauert, bis das Gesagte bei mir angekommen ist. Sowas ist leider normal bei mir; also Dinge erst mit etwas Verzögerung erfassen zu können. Im Rückblick, mit dem, was ich heute weiß, erklärt das aber so Einiges.
Mein Vater hat mir schon als kleines Kind gesagt, daß er nichts mit mir anfangen kann. Das ist auch heute noch so, und beruht auf Gegenseitigkeit... wir haben es nie geschafft, die Distanz zu überwinden - und werden das wohl auch nie. Das gilt übrigens auch für meine Mutter, wenn auch aus anderen Gründen. Beides ist aber in Ordnung für mich, ich hatte dieses Bedürfnis auch nie. Für mich war es daher normal, und nie etwas 'Falsches', eine solche Bindung nicht zu haben. Die Kritik meiner Verwandten, besonders meiner Mutter gegenüber, verstand ich nie (genausowenig wie sie).
Das war mit ihm und meiner jüngeren Schwester dann anders. Die Beiden standen sich sehr nahe. Wohl auch, weil meine Mutter dazu auch bei ihr nicht in der Lage war. Sie hat wohl viel von ihm abbekommen, was ihr das Leben 'da draußen' erschwert hat, auch wenn sie selbst das wahrscheinlich bis heute nicht realisiert, obwohl sie das von unserem Vater weiß.
Zwischen meinen Eltern lief es nie gut, und sie trennten sich endgültig, als ich in der ersten oder zweiten Klasse war. Mein Vater war schon vorher selten zu Hause (er war oft auf Montage, und hatte sogar eine Zweitwohnung), doch dann zog er endgültig aus. Von da an wurde es auf einen Schlag kompliziert, und für meine Schwester ohne ihre 'Bezugsperson' sehr schwer, aber das würde hier wohl den Rahmen sprengen.
Ich selbst komme eher nach meiner Mutter - auch eine Geschichte für sich.
Mit all diesem Wissen, nur für mich, fällt es mir aber heute leichter, zu verstehen, warum die Dinge so waren, wie sie waren.... und sind, wie sie sind.
Auch Verzeihen ist damit generell einfacher, auch wenn ich mir selber gegenüber noch daran arbeite.
Jedenfalls... früher sagten meine Verwandten ganz offen, meine Schwester würde sicher einmal übel abstürzen im Leben. Aber sie lebt heute gut damit, auch wenn sie eine exzessive Jugend hinter sich hat, hat sie rechtzeitig geschafft, Struktur in ihr Leben zu bringen, obwohl sie dann mit 15 von uns zu meinem Vater zog, was natürlich sehr chaotisch war. Mit 18 zog sie dann in eine andere Stadt. Sie hatte es also alles Andere als leicht. Auch wir sehen uns eher selten, doch heute ist sie es, die mir Tips zum Alltagsdingen gibt, oder Hinweise... und nicht umgekehrt.
Bei meinem Vater sieht es anders aus. Er hat es bis heute nicht hinbekommen, das Chaos im Kopf in dem Griff zu bekommen. Und er denkt über Ärzte und Hilfe ähnlich wie dein Sohn.
Ein Spieler ist er nicht; sein 'Ventil' ist Alkohol. Aber da ich ihn nur sehr selten wirklich betrunken erlebt habe, ist sein regelmäßiger Alkoholkonsum auch etwas, was ich, wie so viele andere Dinge auch, bis zur Auseinandersetzung mit meiner eigenen Sucht nicht einmal realisiert hatte.
Meine Schwester lebt gut und selbständig damit. Und ihr ist das nichtmal klar.
Mein Vater hingegen weiß es inzwischen zumindest, aber geändert hat sich seitdem nicht viel.
Der Unterschied zwischen den Beiden ist ganz banal, aber für ein geordnetes Leben eben essentiell und entscheidend - die Eine tut etwas, und der Andere nicht.
Und von den Kindern meiner Eltern bin ich, der rationale Kopfmensch, der nichts tut, ohne es bis ins Detail durchdacht zu haben, der mit dem Suchtproblem geworden, und nicht meine Schwester, die sein AD(H)S sehr wahrscheinlich 'geerbt' hat.
Denn wie Taro schon schrieb, ist alles eine Frage der Prioritäten - und das kompromißlos. Das gilt natürlich besonders mit AD(H)S, was diese Ordnung für einen funktionierenden Alltag dringend erforderlich macht - aber auch ohne. Diese Prioritäten kann aber nur der Betroffene selbst setzen.
Was ich damit sagen will, ist, daß meine Schwester genau weiß, wie knapp sie an einer 'Suchtkarriere', oder generell dem gesellschaftlichen 'Absturz', vorbeigeschlittert ist. Sie tut daher schon länger alles dafür, Ordnung in ihr Leben zu bringen, der Rest ist dem untergeordnet. Und wie sehr sie immer Angst davor hatte, daß ihre Kinder einmal 'werden könnten wie sie', hat sie mir schon mehrfach gesagt.
Und das alles, ohne für sich überhaupt einen Namen dafür zu haben.
Mein Vater hingegen tut... absolut gar nichts... außer, sich weiterhin von einer fixen Idee in die nächste zu stürzen (diese Impulsivität hat mich als Kind schon verrückt gemacht). Meine Schwester erzählte mir kürzlich erst, daß er, trotz mittlerweile zwei vorangegangen Privstinsolvenzen, momentan beispielsweise gerade sein gesamtes Geld (und mehr) für Silberbesteck ausgibt - aber das ist hier wohl eher nicht relevant.
Auch meine Mitschüler haben mich zeitweise verkloppt. Meine Eltern wußten das nichtmal. Für mich war das normal, und ich konnte auch gar nicht darüber sprechen - auf eine solche Idee kam ich gar nicht. Aber selbst wenn, hätte es aber eh keinen interessiert. Die Devise meiner Mutter war immer, egal, worum es ging, daß die Anderen schon ihre Gründe haben würden. Heute weiß ich, daß das Mutter-Sein sie einfach völlig überfordert hat, und dies zu einer Reihe schlechter Entscheidungen ihrerseits geführt hat.
Manches sagt sich daher so einfach. Aber ab und an ist das pauschalisierte 'Machenlassen' jedenfalls auch nicht der richtige Weg.
Mit Hilfe ist es leichter - sofern der Betroffene diese auch zuläßt. Bis dahin tust du jetzt genau das Richtige. Denn du bist reflektiert, und weißt, was richtig wäre. Nur ein Umsetzen ist dann immer schwer... das weiß ich ja auch aus eigener Erfahrung.
Entschuldige mein etwas wirres Geschreibsel. Ich hatte den Großteil dieses Beitrags heute Nacht schon geschrieben, ihn aber doch nicht abgeschickt, da ich zugegebenermaßen etwas angetrunken war.
Ich freue mich jedenfalls für dich, daß du eine Angehörigengruppe gefunden hast, die dich mit ihren Erfahrungen unterstützen kann, und wünsche dir viel Kraft auf deinem weiteren Weg, auf daß du innerlich zur Ruhe kommst - egal, was sonst so passiert.
TAL