Guten Abend,
mir ging es ganz ähnlich wie André, als ich diesen Text über den eigenen 'Opferstatus' las. Ich bin aber im Urlaub, und war leicht angetrunken, um den Flug zu überstehen (ja, ich weiß... -.-), und hatte daher erstmal auf eine Antwort verzichtet.
Nun sitze ich auf dem Balkon, und denke doch darüber nach. Soviel zu 'Digital Detox'... oder die Vergangenheit ruhenzulassen.
Ich denke, ich hatte hier auch schonmal geschrieben, wie ich persönlich zu meiner Rolle als 'Opfer' stehe. Jacky, André und Taro haben es ja auch nochmal gesagt. Das sehe ich nach wie vor so. Dennoch ist es zugegebenermaßen nicht so einfach, immer auch entsprechend zu handeln, gerade wenn ich mich innerlich hilflos oder überfordert fühle.
Da muß ich dann auch schonmal innehalten, und mir bewußtmachen, was da in mir gerade passiert.
Und das ist eben nötig, um nicht wieder in die 'Die-Welt-Ist-Ungerecht-Einstellung' abzudriften - auch wenn sie das beizeiten vielleicht sogar gewesen sein mag, bin ich heute erwachsen, und habe alles selbst in der Hand.
Ich schrieb hier sicher schon davon, daß ich selbst in mir immer das schlechte Beispiel sah, vor dem man seine Kinder warnt.
Doch heute bin ich ja eigentlich ein besseres Beispiel... und sei es 'nur' dafür, daß abstinent leben ohne ein Gefühl des Verzichten-Müssens möglich ist.
Trotzdem... ich habe kürzlich gemerkt, daß die Scham nach wie vor stärker ist. Und wie! Das ist sehr unangenehm. 'Kopf hoch' kann ich nicht vermitteln.
Es hilft nichts.
Ich vertraue wohl nach wie vor auf das Vergessen-Wollen.
Knochentrocken, mhhh...
Auch wenn ich schon recht lange ohne lebe, bin ich mir gar nicht so sicher, ob das auf mich so zutrifft. Ich meine dabei gar nicht mal Gedanken ans Spielen an sich - die habe ich glücklicherweise tatsächlich so gut wie gar nicht mehr, sondern meine Art der... mhhh... 'Alltagsbewältigung'.
Für mich gibt es immernoch sehr viele innere Konflikte, die sich in meinem Kopf gerne mal verselbständigen.
Es ist ja zum Glück bereits geklärt, wie das zu verstehen war oder ist.
Und auch für mich hat die Frage nach dem 'Knochentrocken' erstmal gar nichts damit zu tun, ob jetzt Lotto, Tombolas oder Punktesammeln an der Supermarktkasse 'zählen', oder nicht... denn das kann und muß jeder für sich selbst entscheiden (teilweise sind bestimmte Gesellschaftsspiele bei mir sogar 'tagesformabhängig'). Ich denke auch nicht, daß hier irgendwer die Grenzen vorschreiben will. Mit der Zeit weiß man einfach für sich, was 'geht', und was nicht. Da sind dann diese 'Rechtfertigungen' auch gar nicht mehr nötig.
Dabei spiele ich tatsächlich nichtmal Lotto oder Firmen-Tippspiele. Bis heute nicht.
Das Einzige, was ich mir da 'ankreiden' könnte, war eine Teilnahme an einem Skatturnier. Jemand hatte mich zum 'Revival' nach ein paar Jahren Abwesenheit des Organisators einfach wieder mit angemeldet, und ich wußte nicht, wie ich aus der Nummer rauskommen sollte, ohne eine 'Szene' zu machen.
Ich hatte nichtmal das Startgeld bezahlt, und 'gewonnen' hatte ich ein Poloshirt mit dem Logo des Hamburger Flughafens, das mir nichtmal annähernd paßte.
Zum damaligen Zeitpunkt war das trotzdem keine gute Idee.
Dennoch bin ich rein per Definition des Begriffes jedenfalls spätestens seit diesem Tag 'trocken'.
Aber 'trocken' kann jeder irgendwie. Die Frage ist da meist eben bloß nur: wie lange noch?
Ab und an habe ich das Gefühl, das gilt auch für mich. Nichts ist da so gefährlich wie das Vergessen.
Ich habe zudem auch in der idealen Partnerschaft für jeden Süchtigen gelebt - das Thema kam hier ja auch auf. Co-abhängig wäre wohl das falsche Wort, da mein kleines 'Hobby' ja gar nicht bekannt war... eher extrem hilfsbereit und harmoniebedürftig. Solange die Beziehung weitergegangen wäre, hätte ich es wohl sicher nicht geschafft, für irgendwas selbst die Verantwortung zu übernehmen.
Daher stimmt es schon, wir beide wußten ja zur Genüge, wie es nicht funktioniert, und mußten daraus lernen. Das haben wir automatisch, sobald es wieder Raum für Miteinander gab. Denn zusätzlich habe ich noch ein paar andere 'Defizite' (was für ein bescheuertes Wort). Dadurch scheine ich auch im Normalzustand in einigen Menschen sowas wie einen 'Helferinstinkt' zu wecken. Das Ganze ist manchmal schon etwas schambehaftet, und macht auch die Sache mit der Eigenverantwortung nicht unbedingt einfacher. Aber auch da muß ich gelegentlich klar gegensteuern, auch wenn das oft als unhöflich aufgefaßt wird. Ist halt schwer zu vermitteln, daß es mich nicht weiterbringt, wenn man mir alles abnimmt. Andererseits kann ich inzwischen aber auch Hilfe und Ratschläge annehmen, wo ich tatsächlich nicht weiterkomme. Das ist nur eben manchmal ein schmaler Grat.
Ich bin kein hilfloses Opfer, aber leider auch nicht immer so selbständig, wie ich es gerne wäre - das muß ich mir schon eingestehen. Es braucht daher eine 'gesunde' Partnerschaft, um das händeln zu können. Das mußten wie beide erst lernen, und dafür brauchte es sehr viel Veränderung.
Das Thema Verantwortung beinhaltet eben weit mehr als nur das Bezahlen der Rechnungen, oder Essen auf dem Tisch. Ich muß auch in meinem Handeln und in zwischenmenschlichen Beziehungen in der Lage sein, mich verantwortungsbewußt zu verhalten. Das schaffe ich in manchen Situationen nicht ohne eine Klärung.
Und das Argument, das ich hier kürzlich irgendwo las, jemand hätte ja einen weit höheren Verdienst, und aufgrund einer akademischen Ausbildung könne man dann auch von einer höheren Intelligenz ausgehen, ist letztlich nur eine Rechtfertigung dafür, warum man selber sich 'nicht im Griff hat'.
"Natürlich kann der länger spielen als ich, bevor er 'Probleme' bekommt, denn ich bin ja viel schneller pleite."
Doch wer mehr verdient, kann sich auch leichter Geld leihen - und mehr davon. Ob das jetzt besser ist, sei mal dahingestellt. Am Ende kommen jedenfalls alle an demselben Punkt an.
Davon abgesehen hätte kein Geld der Welt 'gereicht', um meine Sucht zu stillen. Was ich hatte, wurde versenkt. Das wäre mir als Millionär genauso gegangen. Ehrlich gesagt bin ich heute froh, daß ich letztlich keine 30 Jahre lang irgendwie durchhalten konnte.
Es ist eben keine Frage danach, wieviel man verspielt, sondern nur, ob man es regelmäßig tut.
Ich bin hier vor Kurzem gefragt worden, wieviel Geld ich im Laufe meiner 'Karriere' eigentlich verspielt hätte. Au weia, ich weiß es nicht. Schwer zu sagen. So der Großverdiener war ich damals nicht. Ich wollte mein Gegenüber nicht zu sehr irritieren, also machte ich eine grobe Schätzung, die nicht zu 'heftig' klingen sollte.
Wenn ich ehrlich bin, ist diese Zahl wahrscheinlich untertrieben. Das könnte aber auch unbewußt mit meiner generellen Neigung zusammenhängen, meine Probleme gerne kleinzureden.
So oder so... allein die Tatsache, daß ich diese Summe als eine 'vorsichtige Schätzung', und 'für Andere nicht allzu befremdlich' ansah, zeigt doch schon, daß bei mir etwas gehörig nicht stimmt.
Andererseits ist es aber auch ziemlich irrelevant, denn das heißt ja im Umkehrschluß nicht, daß ich diese Summe stattdessen irgendwie gespart hätte.
Denn ich hätte ganz anders gelebt, weniger... asketisch. Und es wäre auch nicht nötig gewesen, zusätzlich zu meinem Einkommen 'an Geld zu kommen'.
Das Ganze ist also ein Luftschloß. Jeder verspielte Cent ist einer zuviel, und ein Wurstverkäufer 'leidet' genauso wie ein Bänker, wenn am Ende des Geldes noch sehr viel Monat übrig ist.
Ich bin jedenfalls ganz sicher kein Opfer. Gespielt habe ich nicht, weil die Welt so ungerecht war, oder ich ja gar nicht anders konnte, sondern weil ich es so wollte. Denn ich sah es als bequemsten Weg, mit mir selbst klarzukommen - und das wäre auch heute noch so. Dafür kann also keiner was.
Die Gene, das Umfeld, die Kindheit... all das zählt meiner Meinung nach nicht, denn es gibt Tausende Menschen, die nicht süchtig sind, obwohl sie keine idealen Lebensumstände hatten oder haben.
Nein, da muß also noch mehr sein. Ich bin ich - und das ist das Problem.
Aber es ist ruhiger draußen geworden. Ich gehe mal ins Bett.
Gruß aus dem Süden