Auch wenn ich es nie wahrhaben wollte, weil ich selbst nicht viel von mir hielt, so war der Glaube Anderer an mich eigentlich nie ein Problem. Schon mein ganzes Leben lang sagen Leute mir "Du verkaufst dich unter Wert."
Ich selbst hingegen sah mich immer nur als eine Last, als Versager, als das verlebte Beispiel, wovor Eltern ihre Kinder warnen, wenn sie ihre Hausaufgaben nicht machen wollen.
Ich stand mir selbst immer im Weg, hielt mich klein, und konnte positive, aufmunternde Worte ganz einfach nicht annehmen, nicht verarbeiten.
Ich habe nie etwas gelernt. Die Frage, warum ich das nicht nachhole, nicht doch nochmal studiere oder eine Umschulung mache, kommt schonmal auf. Und es stimmt, es wäre heute kein Problem mehr, auch nur ein Gehalt wäre absolut ausreichend.
Aber ich bin zufrieden mit dem, was ich habe. Es liegt weit jenseits von dem, was ich glaubte, das überhaupt für mich machbar wäre... ja, was ich als der, der ich nunmal bin, überhaupt 'verdiene'.
Ich könnte problemlos für mich selber sorgen, jederzeit, und auch andere könnten ohne mich auskommen. Das ist es, was die Waage hält - ich falle niemandem zur Last.
Es ist die Unabhängigkeit, die ich mehr schätze als alles andere, nicht nur finanziell. Ich brauche nicht viel, aber was ich brauche, kann ich selbst besorgen. Auf etwas oder jemanden angewiesen zu sein, und sei es nur temporär, ist eine Horrorvorstellung für mich.
Außerdem weiß ich, warum das so ist. Niemand sollte dafür aufkommen müssen, nicht einen Cent.
An mich selbst und meine Möglichkeiten zu glauben geht schon etwas besser als früher. Für die Entwicklung von sowas wie persönlichem Ehrgeiz reicht es aber nach wie vor nicht aus.
Viele sprechen vom persönlichen Tiefpunkt, von rock bottom, oder wie auch immer man das nennen mag. Und ja, auch ich gehörte zu denen, die mit dem Rücken zur Wand stehen mußten, um zu erkennen, daß es nur einen Weg dort raus gibt. Das war ein Wendepunkt, aber in sich trotzdem noch nicht ausreichend. Denn die Erkenntnis allein ist viel wert, aber die Umsetzung funktioniert trotzdem nicht ohne mich und meine Kooperation, doch ich selbst bin nach wie vor der Schwachpunkt jeder Operation, denn verläßlich bin ich nunmal bekanntermaßen eher nicht. Ich mußte umdenken, alles neu ausrichten... es gab keinen Plan B, nichts mehr zwischen mir und dem Abgrund. Ich hatte noch nie in meinem Leben eine solche Angst gehabt.
Ich fand mich damals auf der Straße wieder, hatte ebenfalls alles verspielt, alle Register ausgeschöpft, keinen Cent mehr - und es war erst der Dritte des Monats.
Im Nachhinein betrachtet hatte ich unsagbares Glück, daß ich das abgewendet bekommen habe. Gibt es also eine höhere Macht? Ich weiß es nicht, aber es war definitiv mehr, als nur der eigene Wille. Der allein hätte in dieser Situation nicht mehr geholfen, jedenfalls nicht so 'schnell'.
Und das, was erstmal vor mir gelegen hätte, hätte ich trocken nicht lange durchgestanden.
Aber es kam anders. Um diese letzte Chance zu nutzen, mußte ich bei Null anfangen, und zum ersten Mal tat ich es auch konsequent, so unangenehm es auch war, seinen Kopf aus dem Schneckenhaus zu stecken. Leute, hier bin ich. Hinter den Zahlen auf dem Papier steckt ein Mensch, der sogar sprechen kann... und kannst du mir nachher bei etwas helfen, ich schaffe es nicht allein, den Schreibtisch zu tragen.
Natürlich.
Wie? Natürlich? Einfach so?
Ich habe mich für das Leben entschieden. Beängstigend, wie es war, erschien es mir doch besser als Aufgeben.
Und doch... TAL den Spieler, den gibt es noch. Das habe ich Freitagnacht mal wieder bemerkt, als ich gegen zwei Uhr nach Hause kam, und der Arbeitskollege meiner besseren Hälfte in unserem Arbeitszimmer saß (die anderen standen auf dem Balkon und rauchten), und mir die Vorzüge eines eigenen Spieltisches nahebringen wollte (Nachdem ich sagte "Braucht kein Mensch."). Mit einem Lächeln legte er einen Plastikchip aus einem der Brettspielekartons auf den Tisch und schob ihn mit einem Finger langsam über die Stoffoberfläche, direkt zu mir rüber "Hier. Probier das mal."
Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten, aber ich sagte nichts.
"Äh, bist du noch da? Bist wohl schon ziemlich müde."
"Ja. Sorry. Nein danke."
Es blieb nicht dabei, er redete weiter. Was mich dabei schockierte war nichtmal sein Versuch, mir weiszumachen, er sei anders als seine Kumpels, denn er ginge ja immer mit Gewinn raus, sondern die Beiläufigkeit, mit der er mir von seiner (angeblich sporadischen) Freizeitbeschäftigung erzählte. Völlig ungefragt. Als würde er Briefmarken sammeln.
Und doch war er da, dieser typische Unterton, dieses Erhabene Getue. Er traut sich das, steht souverän über den Dingen, er weiß, was er tut. Ich kann das schlecht beschreiben, aber es ist eben das, was bei anderen oft diese gewisse morbide Faszination auslöst. Meine bessere Hälfte ist da keine Ausnahme, wie ich bei meiner ersten Begegnung vor zwei Wochen mit ihm feststellte (Das hatte ich noch nie seit meiner aktiven Zeit... und doch reichten an diesem Tag 20 Minuten in einem Raum mit ihm, und mir war klar, daß er Spieler ist - und das nicht nur gelegentlich. Ich war überrascht darüber, daß das für mich offensichtlich war. Ich fühlte mich schuldig, das zu denken. Wer bin ich, das zu beurteilen?). Der Reiz des Verbotenen, eine Art unterschwellige Bewunderung für etwas, was man selbst nicht tun würde, weil man eben gelernt hat, daß es 'gefährlich' ist.
Bei mir war das nicht so, das war er nicht gewöhnt, das merkte man. Es irritierte ihn wohl leicht, denn ich starrte nur konzentriert auf einen Chipskrümel auf dem Tischrand. Er hielt kurz inne, erzählte aber dann doch weiter. Ein guter Redner.
Ich dachte nur "Da ist leider noch sehr viel Luft nach unten.", und biß mir auf die Zunge.
Es geht mich nichts an! - Und es geht ihn nichts an!
Dann kamen die anderen wieder.
Die Gänsehaut hatte ich noch, als ich später erfolglos versuchte, einzuschlafen.
Ich wußte, daß sie einen Spieleabend machen wollten, deshalb bin ich extra lange weggeblieben. Leider nicht lange genug.
Ich hab das Spiel, was sie dann spielten, nichtmal begriffen, mein Kopf war anderswo.
Nun ja, das sind Dinge, denen ich zum Glück lange erfolgreich aus dem Weg gehen konnte. Eigentlich ist er auch ganz in Ordnung. Es ist auch nicht persönlich, er kann nichts dafür - nur kann ich ihm das schlecht sagen.
Ich reagiere nach wie vor auf die alte Konditionierung, der Spieler in mir ist also noch da. Bei sowas regt er sich dann mal wieder und macht mir den Alltag unnötig schwer. Da wirke ich dann wieder wie das Arschloch, daß verpennt hat, als die sozialen Kompetenzen verteilt wurden.
Damit wären wir wieder beim Thema Verantwortung.
Sie auch zu übernehmen, einzusehen, daß sie ganz allein bei mir liegt, ist entscheidend gewesen.
Was wäre gewesen, wenn ich meiner besseren Hälfte von den Schulden erzählt hätte, die ich nach wie vor am Abzahlen war, als wir wieder zusammenzogen?
"Schulden wir das um. Ich bekomme bessere Konditionen als du."
Ich habe später einmal den Fehler gemacht, den Bescheid über meine Bafögrückzahlung noch auf dem Küchentisch liegenzuhaben, als jemand früher nach Hause kam.
Die Diskussion ging drei Tage. Ich wußte ja, warum ich das Studium nicht abgeschlossen habe - und wofür meine Bafögzahlungen draufgegangen sind. Deshalb sollte niemand anders dafür geradestehen, auch wenn es nur auf dem Papier ist. Diese Art von Hilfe ist nicht förderlich für jemanden wie mich. Auch wenn es der einfachere, und von außen betrachtet auch logische, Weg wäre.
In guten wie in schlechten Zeiten eben - es gibt kein 'Meins', nur noch 'Unseres'. Ich denke trotzdem, daß dies eindeutig seine Grenzen hat. Gerade bei mir - und auch um meiner selbst Willen.
Vielleicht übertreibe ich auch, aber Verantwortung fängt ja auch schon viel früher an.
Wie ich anderswo bereits sagte: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Es wäre ziemlich daneben, andere zu beschuldigen, falls mir das passiert, denn keiner kann mich aufhalten, wenn ich unbedingt spielen will. Wenn nicht auf diese Weise, dann hätte ich es eben anders fertiggebracht.
Hinsehen ist aber unangenehm, und selbst Verantwortung übernehmen ein langwieriger Prozeß, der einen auch noch einschränkt. Wer will das schon?
"Dann doch lieber am Besten alles zurück auf Null, denn das ist die einzige Chance. Damit bin ich dann geheilt. Versprochen! Nie wieder. Ich hab auch gar keinen Bock mehr!
Doch wenn nicht, bleibt mir ja nichts anderes als Spielen, wenn ich will, daß morgen wieder alles in Butter ist.
Ohne sofortige finanzielle Hilfe bin ich am Arsch.
Warum versteht das bloß keiner?"
Tja, warum?
Das Beibehalten der eigenen Verantwortung ist ein langer, steiniger Weg, und damit nicht sehr attraktiv. Auch wenn er mit der Zeit leichter wird, so endet er doch niemals komplett. Daher ist es meist unglücklicherweise erst die letzte Option.
Für mich hat es deshalb den Vollcrash gebraucht, ihn überhaupt nur in Erwägung zu ziehen - leider.
Habe ich es geschafft? Sicher nicht. Aber ich ziehe heute bewußt die Eigenverantwortung und Ausgeglichenheit der elektrisierenden Rastlosigkeit und dem inneren Chaos vor. Entschleunigt und stabil.
Wohlwissend, daß es immer sein kann, daß ich es mir morgen doch mal anders überlege.