Spieler & Angehörige > Ich bin hier ... NEU

Wie fühlt sich der Entzug an?

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JJ:
Hallo,
genau, ich bin neu hier....
....mein Mann spielsüchtig.

Vor 18 Monaten hatte ich die Schock-Konfrontation. Das kontrollierte Online-Pokern hatte immer nur in meiner Gegenwart stattgefunden. Das unkontrollierte immer dann, wenn ich weg war bzw auch während der Arbeit. Das Haus ist bis zur Rente nicht abbezahlt, aber seine Altersvorsorge (40k) sind schonmal verzockt. KKonto war überzogen, von Freunden war schon Geld geliehen und die Bank hat bereits keine Kredite mehr gewährt. Dann das standard-Programm "Tut mir alles soooo leid!!!" "Ich tus niiiiie wieder!!!" "Ich hol mir Hilfe!!!"..... Seitdem ist er in Therapie (1h/Monat => komischer Rhythmus), Kontoführung lag seidem komplett bei mir, bla bla blubb. Und wir haben schön beobachtet, wie sich das Geld auf unseren Konten langsam wieder angesammelt hat (und sogar tatsächlich mal Sondertilgungen drin waren!!!). Alles gut also 18 Monate lang!! Angeblich Schock-geheilt und nie wieder Lust zum Spielen gehabt!!

Aha!!...... ???
Und jetzt??

Kriege ich mit, dass er seit 12 Monaten wieder rumzockt und mich weiterhin belügt. Mich belügt. Den Therapeuten belügt. Er hatte das geänderte Passwort vom Konto mitgekriegt und sich mit einem ganz fiesen Trick schön getarnt Kohle aufs Pokerkonto abgezwackt.
Wie kaputt ist das denn bitte??
Man macht eine Therapie und spielt dem Therapeuten 12 Monate was vor!!? Und der ist so doof wie ich und checkt es auch nicht!!?

Mein Mann ist der beste Lügner der Welt!!! Lügen zu erzählen ist für ihn das normalste auf der Welt. Ich habe keine Ahnung, wie ein Mensch für den Lügen das normalste auf der Welt ist, jemals ein offener authentischer Mensch werden soll.

Jederzeit könnte ich sagen "Danke, das reicht. Ich bin weg."
Aber ich mach das nicht....
Irgendwas in mir will bei ihm sein. Ich bin echt in ihn verknallt!! Liebe kann man es leider nicht mehr nennen. Dazu würde auch Vertrauen und Glaube gehören.

Er verspricht mir jetzt wieder dauernd, dass er es schaffen will, von dem Scheiß wegzukommen. Wir reden ganz viel und sind uns in diesen Tagen plötzlich wieder viel näher.

Was ich mich frage, bzw mich von Euch interessieren würde: Wie fühlt es sich an, ein trockener Spieler zu sein? Bleibt man nicht lebenslänglich unbefriedigt? Es wäre, wie wenn ich mir das Ziel setzen würde, keine Schokolade mehr zu essen. Es würde ganz einfach nicht funktionieren!! Kann man die Lust zu spielen überwinden? Wie lange dauert es, den Zustand zu erreichen?

Liebe Grüße
JJ

amTiefpunkt:
Hallo JJ,

ganz herzlich Willkommen hier bei uns im Forum, schön, dass du geschrieben hast!

Ja, wir Spieler sind leider auch exzellente Schauspieler, wenn es darum geht, unseren Schatz, das Spielen, zu beschützen.

Es sieht leider alles danach aus, dass er seine sogenannten Maßnahmen, die dem Spielen entgegen wirken sollten, nur dem Haushaltsfrieden geschuldet sind. Er selbst scheint noch nicht bereit zu sein, sein Problem (ggf sieht er es auch noch nicht als Problem) anzugehen.

Du solltest dir im Klaren darüber sein, was deine Grenze in dieser noch kranken Beziehen ist, und dann auch Konsequenzen ziehen. Ein Leben mit einem nassen Spieler ist kein Leben, entweder du wirst Co Abängig oder lebst in der Hölle.

Wenn du gerade den aktuellen Thread von Stefan mal durchliest, wirst du erkennen, dass trockene Spieler keinesfalls unbefriedigt sind. Auch ich kann dir das aus meiner Erfahrung heraus sagen, ganz im Gegenteil, es ist dann wie ein aufwachen aus einem bösen Traum. Allerdings erfordert der Weg aus dem Spieler viel arbeit an sich selbst und auch kein Weglaufen aus unangenehmen Entscheidungen. Für einen Spieler ist dies nicht einfach, hier gibt es Hilfestellungen in Form von Therapien, SHGs, Suchtberatungsstellen und Foren wie dieses.
Leider hast du keinerlei Einfluss darauf, ob er diese Entscheidung des Weges der Abstinenz für sich treffen möchte.
Wie viele Chancen gibst du ihm noch bevor du dich auf dein Leben fokusierst!? Es geht hier auch um dein Leben, nicht nur um seines! Entscheidungen über dein weiteren Lebensweg obliegen dir - hier hast du Zugriff!!!

Grüße, aT

JJ:
Hallo aT

Danke für Deine schnelle Antwort!!!
Was versteht man unter Co-Abhängigkeit genau?
Ist damit die Angst gemeint, die einen dauernd begleitet? Oder meint es das Verharmlosen und Verdrängen, um nicht kaputt zu gehen?

Puh, im Moment glaube ich ihm, dass er es schaffen WILL. Ich weiß aber leider auch, wie schnell er einknicken kann. Das hat er mir auch beim Rauchen netterweise seit Jahren bewiesen.

Eigenes Geld und Seelenglück in Sicherheit bringen, oder?

JJ

sstteeffaann:
Hallo JJ,

da ich ein fauler Hund bin, hier mal der Wikipedia-Artikel zur Co-Abhängigkeit: https://de.wikipedia.org/wiki/Co-Abh%C3%A4ngigkeit

Nein, ein trockener Spieler ist nicht unbefriedigt, das kann ich aus meiner eigenen Erfahrung heraus berichten. Ich bin jetzt seit 4 drei Viertel Jahren spielfrei. Ich habe für mich Strategien entwickelt, wie ich in Situationen, wo ich früher gespielt hätte, auf Alternativen zurück greifen kann. Ich habe ein Netzwerk aufgebaut, wo ich mich immer hinwenden kann, wenn es denn mal "brennen sollte". Das es immer mal wieder zu Situationen kommen kann, in denen Spieldruck entsteht, steht außer Frage. Ich muss damit umgehen, und das habe ich in den letzten Jahren gelernt.

Die Befriedigung in anderen Bereichen des Lebens ist viel mehr wert als die Befriedigung des Suchtdruckes. Ich genieße es, das ich mir wieder etwas leisten kann, wenn ICH Lust darauf habe. Ich genieße es, meinen Hobbys nachzugehen, wenn es MIR danach ist. Ich genieße die frische Luft, wenn ich draußen bin, den Wind, der mir dabei um die Nase weht, ich habe wieder den Blick für die kleinen Details. Das war mir als Spieler absolut verloren gegangen. Ich habe ihn wieder!

Ich wünsche Dir, das Du aus meinen Zeilen für Deine Partnerschaft die richtigen Wege für die Zukunft ziehst!

LG
Stefan

TAL:
Hallo JJ,


--- Zitat ---Eigenes Geld und Seelenglück in Sicherheit bringen, oder?
--- Ende Zitat ---
Absolut, ja.
Aber etwas zu Coabhängigkeit und Selbstschutz zu sagen, steht mir nicht zu - und dazu haben Stefan und aT ja auch schon was geschrieben.

Was die Frage danach betrifft, ob ich etwas 'vermisse'.... da frage ich mich gerade, warum du ausgerechnet das wissen möchtest. Nicht, weil ich es unangenehm, falsch oder schlimm finde, sondern weil ich mir denke, daß es sicher hundert andere Fragen gäbe, die dir im Kopf rumgehen, und die zu stellen von deinem Standpunkt aus 'zielführender' und logischer wären.
Aber auch du fragst (wie es Angehörige oft tun) danach, wie es wohl für ihn sein muß, und ob das, was er dann 'durchmacht', schlimm ist. Das zeigt ja schonmal, wo die Prioritäten liegen. Und daß das eigentlich nicht so sein sollte. Es sollte ja primär um dich gehen.

Im Großen und Ganzen hat Stefan das Hier und Jetzt sehr schön beschrieben. Dieses Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmtheit ist unbezahlbar. Aber es war harte Arbeit, und ich möchte das nie wieder eintauschen - gegen nichts auf der Welt. Dennoch, ganz ehrlich: Ja... manchmal vermisse ich da schon was. Stimmt, das ist in der Tat ein ziemlicher Widerspruch. Natürlich nicht die Verzweiflung, die Geldsorgen, den Selbsthaß, die schlaflosen Nächte. Aber die werden in so einem Moment praktischerweise sowieso aus meinen Erinnerungen gestrichen.
Das ist nicht einfach zu erklären.

Mhhh, schwierig... aus dem Bekanntenkreis weiß ich, daß viele bei dem Wort 'Entzug' an die körperlichen Symptome denken. Diese gehen ja nach einer Weile vorbei. Auch bei Alkoholikern oder Drogenabhängigen ist diese Phase irgendwann überstanden - und dann ist derjenige 'geheilt'. Sollte man meinen. Dachte ich auch immer, obwohl ich selbst doch am besten wissen sollte, daß es eben nicht so ist. Das zu verstehen war aber ein langer Prozeß - obwohl ich selbst süchtig bin (Mir dies einzugestehen war ein Teil davon).
Denn dann kommt das, was mir am meisten Angst machte, ohne daß ich mir dessen überhaupt bewußt war - das Leben mit allem, was dazugehört. Und kein Aus-Knopf mehr, keine Flucht.
Das war nicht leicht. Manchmal ist es das auch jetzt noch nicht. Da bewundere ich die, die das komplett hinter sich lassen konnten.

Wirklich akutes 'Verlangen', gepaart mit dem kopflosen Planen im Autopliloten, hatte ich schon sehr lange nicht mehr - Gott sei Dank! Es ist auch nicht so, daß ich oft daran denke - eigentlich tue ich das gar nicht mehr. Ich weiß, daß das nicht passieren darf, und so jetzt im 'Normalbetrieb' ist das auch keine Option, mir sind mir die Konsequenzen bewußt, und daß es für mich keine halben Sachen gibt. Nein zu sagen fällt mir nicht schwer - ohne darüber nachdenken zu müssen. Ich weiß auch, daß ich es kein weiteres Mal schaffen würde, da wieder rauszukommen. Es darf also nicht passieren. Und ich möchte das auch nicht. Der Gedanke und die Erinnerung an 'damals' stößt mich ab. Da möchte ich nie wieder hin. Rein rational betrachtet bin ich also 'durch' damit. Doch an dem Punkt war ich auch auch früher schon etliche Male. Das reicht also auf Dauer nicht aus.

Da ist eben leider noch etwas Anderes. Das für mich auf lange Sicht Gefährliche ist gar nicht mal der 'Suchtdruck' (blödes Wort), sondern die Nostalgie und das (selektive) Vergessen... wenn es mir schlechtgeht, oder wenn ich glaube, es sei alles roger. Ich neige nunmal zu Beidem: Verdrängung und Selbstüberschätzung gleichermaßen.

Das passiert leider doch immer mal wieder, und kommt dann ganz 'überraschend', obwohl es eigentlich absehbar war. Es ist dann schleichend, und da muß ich wirklich auf mich achtgeben. Der Spieler in mir tritt schon lange nicht mehr die Haustür ein - er kommt heute als netter Nachbar an den Gartenzaun, und zeigt sich versöhnlich, in Plauderlaune und lösungsorientiert.
Ich lasse mich auf kein Gespräch mit ihm ein, auch nicht im 'Guten'. Das ist oberstes Gebot. Heute genau wie damals.

Ich bin mir ziemlich sicher, daß ich heute nicht spielen werde, und selbst die letzten Monate war das nie wirklich eine Option. Das Gefühl von Überforderung mag ich aber trotzdem nicht. Damit umzugehen fällt mir immernoch schwer.
Sowas kann mir auch heute noch gefährlich werden, und das weiß ich.

'Verlangen' spielt also so gut wie gar keine Rolle mehr. Alte Verhaltensmuster und Denkweisen sind für mich aber nach wie vor dann doch noch schwer zu 'brechen'.
Damit mußte ich umgehen lernen. Und sie sind auch die gefährlichsten Stolpersteine.
Ich bin im Alltag nicht 'unbefriedigt', aber ich kenne eben leider etwas, was im Zweifelsfall immer 'hilft'. Diese Tür kann ich ignorieren, belächeln, und mit gut mit ihr leben; ich kann sie aber niemals mehr schließen.

Das macht aber nichts, denn ich bin zufrieden - und dankbar dafür, daß ich alles kann, aber nichts muß. Und mir fehlt es nicht.
Ich darf es aber eben auch nicht 'auf die leichte Schulter nehmen'.

So ist es zumindest bei mir.
Ich hoffe, das war jetzt nicht zu wirr.

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