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Autor Thema: AlexandraX Tagebuch

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AlexandraX Tagebuch
OP: 07.12.2022 10:55:08
Ich bin nie ein Verfechter von Tagebüchern gewesen, aber vielleicht hilft es doch?
Heute ist ein richtig schlimmer Tag: Gedanken rissen mich wieder aus dem Schlaf und die Traurigkeit füllte mich aus. Das Chaos meines Sohnes ist sichtbar in seiner Wohnung. Ich bin wegen Nikolaus rein und mich überfiel gleich die ganze geöffnete (immerhin das schon mal) Post verteilt über seinen großen Küchentisch. Schon war ich alarmiert, ob alle fälligen Zahlungen oder andere wichtige DInge herum liegen? Ich ließ es liegen, hin und her gerissen zwischen Verstand und Gefühl: es ist übergriffig, etwas an mich zu reißen, es tut mir nicht gut und ihm auch nicht. Er muss irgendwie lernen, seine Dinge organisiert zu bekommen. Es ist das große Chaos im Kopf beim ihm, einfachste Dinge nicht zu realisieren geschweige zu organisieren. Das liegt auch am ADS, im Sommer war er absolut desorientiert und in depressiver Verfassung. Hat auf mein wiederholtes Drängen einen Arzt gefunden (den er nicht mag) und mit Medikinet begonnen. Es räumt auf im Kopf, aber sehr wechselhaft. Mal sagt er, es ist zuwenig, mal zuviel und dann ist er überdreht. Er geht aber nicht zum Arzt. Am Wochenende erzählte er mir, die doppelte Dosis des Medikaments genommen zu haben :o, da ging es ihm noch schlechter (kein Wunder). Hintergrund ist die Niedergeschlagenheit wegen erneuten Spielens, diesmal über sein Handy, er ist ja gesperrt. Wie sowas funktionieren kann, weiß ich nicht. Die Rechnungen sind so hoch, daß er wieder die Miete nicht zahlen kann. Also schlug ich ihm vor, wenn ich das Vermögens seines Vaters übertragen bekomme (um die Rechnungen zu bezahlen und das Erbe zu sichern), zahle ich die Miete. Nun zweifle ich an den Möglichkeiten. Ein Notar sei nicht zuständig (Telefonat mit Kanzlei), das Betreuungsgericht noch nicht aktiv. Dh die Akte liegt gerade auf dem Tisch des Richters, Donnerstag kann ich dort nachfragen. Aber wie lange dauert es dann wieder, bis wirklich ein Betreuer da ist? Ich will ja zu meinem Wort stehen.
Mir kommen heute andauernd die Tränen, ich bin völlig erschöpft, habe fachliche Unterstützung für mich. Das reicht aber nicht mehr, in einer Klinik bin ich angemeldet. In eine Angehörigengruppe Spielsüchtiger gehe ich nächste Woche. Ich komme mir vor, als würde ich nur noch seit unglaublich vielen Jahren das Kamel durchs Nadelöhr schieben müssen. Ich will es nicht und muss es doch. Es gibt keine weiteren Angehörigen, die sich kümmern...
Mein Leben findet schon lange nicht mehr statt. Ich habe keinen Partner, bin zu blöd, mir den "richtigen" zu suchen, habe Angst vor einem neuen Griff ins Klo und vor allem bin ich viel zu erschöpft dafür. Alleine der Gedanke, ich solle ihm die Socken waschen, macht mich fertig.
Es gibt wenige Dinge, zu denen ich momentan überhaupt in der Lage wäre, diese für mich zu tun.... Insofern ist es vielleichzt hilfreich, hier zu schreiben...
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Re: AlexandraX Tagebuch
#1: 08.12.2022 10:15:54
In Gedanken bin ich beim Organisieren beim Aufwachen, wie das Vermögen vor dem Verspielen gesichert werden kann. Und ich ermahne mich, wieder zu meinen Vorhaben zurück zu kehren, zu den Dingen die mir gut tun. Zwei Ideen dafür habe ich gestern bekommen und das probiere ich heute noch aus, bin auf die Wirkung gespannt.
Eine To-Do-Liste Vermögen und Haus hat die Gedanken entzerrt. Die Betreuung ist wegen einer Rückfrage an den Gutachter immer noch nicht abgeschlossen (seit Juli!), es ist unerträglich. Es sind Tränen geflossen, obwohl ich nie weine. Aber die Richterin meldet sich telefonisch bei mir. Mal sehen, ob das etwas bringt...
Ich halte mich an den Dingen, die nur für mich sind, fest. Ich habe mich immer wieder selbst hintan gestellt, ein Problem der Biographie. Daran arbeite ich für mich, damit es mir allmählich besser geht.
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Re: AlexandraX Tagebuch
#2: 08.12.2022 20:37:13
Hallo AlexandraX,

es tut gut ein Tagebuch zu führen, Deine Gedanken, Ziele und auch schon geschehenes niederzuschreiben.
Deine Geschichte in Echtzeit und die ist wahrlich für Dich.
Manche Dinge kannst Du nicht ändern, andere hingegen ja schon.
Dein Weg sollte in eine gewisse Gelassenheit führen, wo sich beides auch leichter voneinander differenzieren lässt.
Menschen die uns am Herzen liegen werden immer einen Einfluss haben, wir sind nun einmal daran gebunden.
Dennoch findet ein eigenes Leben immer einen Weg, so viele Dinge die Dir gefallen würden.
Finde sie...finde sie wieder AlexandraX.
Und es ist ja zu lesen, Du bist schon dabei.
Die Abhängigkeit eines Angehörigen ist meist kaum minder, als des Süchtigen.
Die Waage der Hoffnung wird nur gehalten durch den Verursacher, ein Gewicht das schnell viel zu viel wird und Deine Seite erdrückt. 
Eine SHG für Angehörige zu besuchen allemal ein guter Schritt, Du bist nicht alleine damit.
Nicht hier und schon gar nicht in einer SHG.

Liebe Grüße 
       
 
 
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Re: AlexandraX Tagebuch
#3: 09.12.2022 17:33:29
Die Richterin hat sich nicht gemeldet und ich gebe mir Mühe, mich darüber nicht zu ärgern. Bestenfalls hat sie erstmal Kontakt mit der Gutachterin aufgenommen. Daran kann ich nichts ändern.
Stattdessen war ich heute allein in der Sauna, morgens wo es schön leer ist. Es war eine Kopfentscheidung und tatsächlich konnte ich dort abschalten. Na bitte...
Mein Sohn hatte sich mit vielen Terminen völlig übernommen und kam total erschöpft hier an. Das ist eine wichtige Erfahrung. Dann schätzt er ggf künftig sein Energielevel realistischer ein. Und ich habe ihn nicht getröstet, ermutigt.
Jacky1 Dein Weg sollte in eine gewisse Gelassenheit führen, wo sich beides auch leichter voneinander differenzieren lässt.  Oh ja, wie Recht Du hast. Das ist für mich eine Lebensaufgabe und bedarf täglicher Übung. ;) Momentan hilft mir das Hinfühlen, was sagen meine Gedanken, was meine Seele, was mein Körper in einer Situation? Es ist wirklich erstaunlich, wie weit diese 3 auseinander liegen können.

Ich bin da in eine ungewollte Dauer- Beschützerrolle reingewachsen im Laufe seines Lebens. Und nun möchte ich mir das Schritt für Schritt wieder abgewöhnen. Ohne ihn im Stich zu lassen, sondern eher in der Rolle: Hilfe zur Selbsthilfe. Dazu gehört, mir täglich Gutes zu tun, mich nicht (mehr) zu vergessen.
Das schlechte Gewissen an mich zu denken, kann mir mal gestohlen bleiben.
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Taro

Re: AlexandraX Tagebuch
#4: 09.12.2022 23:12:44
Moin Alexandra,.

Herzlich Willkommen auch von mir. Schön das Du anfängst Dich um Dich zu kümmern. Spilsucht, Depressionen und ADS treten oft zusammen auf. Wichtig ist klar Prioritäten zu setzen, Ich bin klar Spieler. Meine Depression und ADHS müssen da hinten anstehen. Das bedeutet, ich machd alley um Spielfrei zu werden, dann kommen erst andere Krankheiten. Medikamente bei ADS können auch das spielen auslösen. Das kann letzlich nur Dein Sohn beurteilen.
Die Sicherung des Erbes kann man auch ohne Betreuer ereichen, wenn er es will.

Ich wünsch Dir viel Zeit für Dich.
Taro
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Re: AlexandraX Tagebuch
#5: 10.12.2022 11:27:37
Da ich selbst krank bin, ist das Energielevel schnell verbraucht bzw im Tiefschlaf. Ich hasse das, aber es ist nicht zu ändern. Ich habe die Chance, jetzt mein Leben zu ändern. Nur, was will ich eigentlich? Verloren auf dem Lebensweg oder viel mehr, ich bin selten dazu gekommen, mir etwas zu überlegen.
Sport war immer schon wichtig, der liegt brach, ok, dann ist es so.
Der Freundeskreis ist stetig angewachsen, darüber freue ich mich sehr. Gottseidank sind alle zugewandt, wertschätzend, respektvoll; Schmarotzer, Nörgler, Menschen die mir nicht gut taten und Profitgeier habe ich schon lange aussortiert. Es wird mir immer mehr bewusst, welch Geschenk diese Freunde sind. Sie  haben alle, egal wie es ihnen ging, zu mir gehalten auch in den dunkelsten Zeiten. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar und sie wissen es auch. Es ist so wichtig, auch Positives zu vermitteln. Sie haben mir das Leben gerettet. Ja, es war so dramatisch.
Weihnachten ist immer eine schreckliche Zeit: die Sehnsucht nach Familie, die ich nie hatte, ploppt auf und ich lenke mich ab, so gut es geht. Dafür habe ich heute Stollen gebacken, etwas, das mir nicht wirklich liegt, iiih das Gematsche.... Aber ausprobieren ist die Devise. Erfahrungen sammeln, und seien sie noch so profan. Mal sehen, was mir heute noch einfällt, um bei mir zu bleiben und nicht in Grübeleien bzgl meines Sohnes zu verfallen. Ich muss ihn machen lassen und hoffe inständig, daß nicht im nächsten Monat wieder dasselbe Problem, weil noch kein Betreuer da ist, der ausstehenden Fixkosten auf mich zuschwappt. ::)
Spilsucht, Depressionen und ADS treten oft zusammen auf. Wichtig ist klar Prioritäten zu setzen, Ich bin klar Spieler. Meine Depression und ADHS müssen da hinten anstehen. Das bedeutet, ich machd alley um Spielfrei zu werden, dann kommen erst andere Krankheiten. Medikamente bei ADS können auch das spielen auslösen. Das kann letzlich nur Dein Sohn beurteilen.
Die Sicherung des Erbes kann man auch ohne Betreuer ereichen, wenn er es will.

Ich wünsch Dir viel Zeit für Dich.
Taro
Moin Taro,
bei ihm ist es umgekehrt: die Depression als Schulkind hat evtl weiter gewühlt, ADS wurde sehr spät diagnostiziert (älteres Schulkind) und nicht behandelt. Seine Erfahrungen sind nicht die Besten, deshalb lehnte er es ab. Mit der Konsequenz des ewigen Chaos' im Kopf und sich Anfeindungen vom Hals zu halten. Überall wurde kritisiert, gemobbt und hat später selbst gemobbt. Das Spielen begann letztes Jahr, wobei ich nicht weiß, wie lang vorher die "Grauzone" lief...
Nun mit dem Medikament ist er überhaupt erst in der Lage, immer öfter klare Gedanken zu fassen. Er war unglaublich konfus. Leider lehnt er wieder ein Arztgespräch ab, um die Medikation zu besprechen. Insofern kann ich nur feststellen, mein Sohn kann nichts realistisch beurteilen und muss aus schmerzhaften Erfahrungen selber lernen. Ob er überhaupt etwas daraus lernt, wage ich zu bezweifeln. Das hat in der Vergangenheit jedenfalls nicht geklappt. Und da sehe ich meine Schuld: das ständige Hinzuspringen und Situationen retten meinerseits, haben ihn wahrscheinlich immer passiver werden lassen....
Ganzt toll finde ich Dein Bemühen, spielfrei zu werden. Wie schafft man das überhaupt? Womit hat es bei Dir angefangen, magst Du dazu etwas sagen?
Liebe Grüße AlexandraX

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Taro

Re: AlexandraX Tagebuch
#6: 10.12.2022 21:35:12
Moin Alexandra,

vieleicht set Ihr beide schon auf einem ganz guten Weg. Für mich der Schlüssel in die Spielfreiheit, ganz sicher die Selbsthilfegruppe.
In meinem Thread https://www.spielsucht-soforthilfe.de/index.php?topic=592.0  habe ich im Startbeitrag genau über Dein Thema geschrieben. Sicher interessant die Antworten.

Taro
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Re: AlexandraX Tagebuch
#7: 12.12.2022 18:05:02
Wieder wurde ich unruhig als ich nichts vom Sohn hörte und ich habe mich dagegen entschieden, mir seinen Kontostand anzuschauen. Ich will es nicht wissen. Wie soll ich sonst loslassen? Meine Katastrophengedanken (Wohnung verlieren, Arbeit verlieren und das ganze weitere Drama) muss ich fast gewaltsam zum Schweigen bringen. Das liegt mir überhaupt nicht. OK, meine Angst ist nicht seine und ich darf sie ihm nicht überstülpen. Das habe ich verstanden; nun muss das "nur" noch ins Gefühl integriert werden. Schwerstarbeit.
Schlafstörungen, es geschieht soviel Schlimmes im Freundeskreis, haben mich nachts geweckt, mehrere Stunden schlaflos. Ätzend.
Danke Taro für Deine Antwort. Ich habe Folgendes von Fred für mich Bedeutsames gefunden:
"Besondere Lebensumstände machten mir mein Verhalten und die notwendigen Konsequenzen deutlich."
Was muss mein Sohn noch erleben, damit er Konsequenzen ergreift? Ich brauche Geduld....  ::)habe ich nicht, will ich aber :D
Heute rief das Fachamt der Betreuung an, Altfälle sollen bis Ende Dezember abgeschlossen sein. Ich war so perplex, daß ich nicht nachgefragt habe, ob er dazu zählt. Ich musste weinen, das am Telefon zu unterdrücken hat mich abgelenkt von der Frage... Jedenfalls bin ich etwas beruhigt, es scheint ein Ende zu nehmen mit der Warterei und Armutsgedanken.
Erst wenn der Betreuer im Boot ist, kann ich ins Krankenhaus. Ich erfahre diese Woche, ob und wann das der Fall sein wird. Beim Antrag auf Betreuung im Sommer habe ich schon gespürt, daß ich nicht die Kraft für alles hatte. Aber wie es so ist, inmitten des Chaos wachse ich erstaunlicher Weise über mich hinaus und funktioniere. Seitdem gab es zwei Nervenzusammenbrüche, meine Freunde haben das mit mir ausgehalten. Das ist unschlagbar toll. Ich bin so dankbar, aufgefangen zu werden, ein Teil der Gemeinschaft zu sein...
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Re: AlexandraX Tagebuch
#8: 15.12.2022 10:37:33
Ich brauchte viel Ruhe die letzten Tage und habe mich nicht wirklich zu etwas aufraffen können. Das ist ok, ein Fortschritt, da der innere Antreiber die Klapppe hält.
Die Richterin hat noch gar kein Gutachten erhalten, diese ewige Warterei auf ein Vorankommen ist zermürbend.  Die Gutachterin war vor ca 6 Wochen im Gespräch mit Sohni. Und er hat der Richterin gesagt, erhabe alles im Griff. Das habe ich verneint, und die aktuelle Situation beschrieben. Sie versucht nochmal, ihn zu erreichen.
Ich habe nicht auf sein Konto geguckt, ich will es nicht wissen. Eigentlich schon, aber ich gewöhne es mir langsam ab, ihn auf alles Mögliche hinzuweisen bzw Rechnungen zu bezahlen. Er lernt aus Erfahrungen früher oder später und kann so sein Selbstwertgefühl aufmöbeln, hoffentlich. Die Betreuung macht er für mich, ja genau, daran erkennt man schon die Verdrängung, daß er ein Problem hat, dem er sich stellen muss. Dass so eine Betreuung Angst auslöst, kann ich mir gut vorstellen. Sie gilt, wenn eingerichtet, erst ein 1/2 Jahr, dann schaut der Richter weiter. Es wäre eine große Hilfe, die Finanzen zu klären und die Erbschaft zu sichern. In einem Jahr wurden ca 40.000€ verspielt. Und die meisten Rechnungen außer acht gelassen inkl Inkasso... Ich wäre damit auch entlastet, steige weiter aus aus meiner Rolle. Als einzige sich kümmernde Verwandte ist mein bisheriges Verhalten das eines CO- Abhängigen. Aus dieser Rolle kann ich erst vollkommen aussteigen, wenn jemand anders die Finanzen regelt. Momentan stelle ich mich darauf ein, daß die Januarrechnungen (Miete etc) nicht mehr gezahlt werden von mir. Obwohl es zuletzt nicht mehr mein Geld war, wiegt mir die Verantwortung dafür zu schwer- und hält das Problem am Laufen.
Dieser Abstand zu meinem Sohn tut mir nicht gut. Ich habe immer das Gefühl, ihn im Stich gelassen zu haben. Faktisch stimmt es nicht. Es ist ein altes Gefühl von mir, weil ich niemals unterstützt wurde vom Elternhaus. Meine Anstrengungen, im Leben zurecht zu kommen, haben mich oft an meine Grenzen gebracht. Es war schlicht niemand da, dem ich gewagt hätte, Fragen zu stellen. Also habe ich mich allein und einsam durchgeschlagen.
Das Gefühl ihn hängen zu lassen, ersetze ich langsam mit: er hat die Chance erwachsen zu werden.
Genug davon.
Heute gibt es nich einige schöne Dinge, die auf mich zukommen und das versüßt den Tag. Meine Vorhaben werde ich außerdem weiter verfolgen, und ich registriere, wie schön es ist, dafür Energie zu haben.
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Re: AlexandraX Tagebuch
#9: 17.12.2022 09:23:48
Gestern ging der Tag anstrengend los. Mein Gasversorger hat einfach eine hohe Summe abgebucht, wogegen ich schon vor 14 Tagen widersprochen hatte. Null Reaktion auf Emails und Foto Zählerstand. Ich dachte, mit einem Telefonat ließe sich das klären. Der 4. Mitarbeiter, dem ich dieselbe Geschichte erzählen musste (nach 1,5 Stunden Telefoniererei), brachte mich dann zum weinen. Das hat mich verstört, nahe am Wasser gebaut, ich? Ja, so ist es. Wenn ich mein Tagebuch nachlese, kommt es öfter vor in letzter Zeit. Die Reserven sind verbraucht.
Mir wurde dann angeboten, die Abbuchung zurück zu buchen, ein neuer Abschlag folgt ab Januar und die alte Rechnung wird korrigiert. Seit Beginn des Krieges bin ich geizig mit heizen, tagsüber in einem Raum 16°, andere Räume unbeheizt. Entsprechend gering ist der Verbrauch. Das zeigt sich im Zählerstand, der nicht beachtet wurde. Nun wird sich hoffentlich zeigen, daß alles korrekt abläuft.
Das erste Mal in der Angehörigengruppe Suchtkranker hat viel Staub aufgewirbelt, tat aber gut. Phasen in denen sich Angehörige von Suchtkranken befinden, wurden erläutert. Und natürlich das Befinden der Teilnehmer. Mir gefiel, daß wenige Angehörige da und Gespräche intensiv waren. Schwierig ist nach wie vor, daß ich mich nur allein um Sohni kümmern kann. Und das ohne Reserven... Schwierig ist auch, in welcher Form ich helfen kann. Eine Idee der Anderen Teilnehmer hört sich gut an, vielleicht bekomme ich das hin?
Gottseidank habe ich heute und morgen etwas Schönes für mich vor.
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Re: AlexandraX Tagebuch
#10: 21.12.2022 21:26:56
Nachdem ich mich ausschließlich um mich gekümmert habe, sind die Nerven etwas besser. Aber immer noch ist es ganz dünnes Eis. Jeden Tag bekomme ich den Spiegel vorgehalten: meine Krankheiten schlagen doppelt zu, wenn ich nicht akribisch auf mich aufpasse.
Und ich möchte nie wieder so krank sein, wie ich war. Es ist ein Balanceakt, das richtige Maß an Selbstfürsorge und Dasein für Sohni hin zu bekommen.
Ist schon klar, die Phasen, die Angehörige durchlaufen, haben es in sich. Weg vom Beschützen, parallel vertrauen zu lernen, weg vom Kontrollieren (was praktisch automatisiert war, es hat gedauert, das zu sehen) und die Abwehr, die bis auf einen Moment, nicht vorhanden ist.
Ich will keine Vorwürfe machen, es ist destruktiv und nützt niemandem.
Mit etwas Abstand konnte ich mich an die Hilfe, die ein Beistand ohne Beschönigung ist, etwas herantasten. Ich muss sehr überlegen, in welcher Form die Hilfe sein muss, um die Sucht nicht unbewusst am Laufen zu halten. Gestern habe ich nach Tagen endlich das richtige Angebot gemacht. Und die Antwort kam prompt. Ok.
Ich habe selbst viele Jahre gelitten, weil niemand für mich da war. Und deshalb kenne ich die Verzweiflung, die Sprachlosigkeit, die Angst, unterzugehen. Eine Krise nicht mehr meistern zu können, weil die Kraft aufgebraucht ist. Deshalb und nur deshalb habe ich zu sehr beschützt, gegängelt. Das verstehen viele nicht gleich. Kann man auch nicht erwarten. Aber ich erwarte Geduld, aufrichtiges Interesse, oder dies gar nicht. Das muss jeder selbst entscheiden. Es steht niemandem zu, zu bewerten. Selbst wenn ich 1000 Meilen in den Schuhen eines anderen gegangen bin, weiß ich doch nichts von ihm.
Und nun strecke ich meine Hände nach Sohni aus, nur als Angebot. Und ich lasse ihn machen, ohne ihn fallen zu lassen.
Anfang des Jahres spürte Sohnis Vater, dass etwas nicht stimmt und ich bin sicher, er hätte einen Weg gefunden, einfühlsam und liebevoll und ernsthaft. Und nun, zu Weihnachten erleben Sohni und ich die riesige Lücke, die er hinterlassen hat. In dem ganzen Drama ist die Trauer zu kurz gekommen, hatte viel zu wenig Platz. Es bricht mir das Herz, dass Sohni so früh seinen Vater verlor. Diese Verbindung war von Anfang an sehr eng mit Freiheitsdrang auf beiden Seiten. Ich kann nur zusehen und da sein, auffangen so gut es geht. Meine Trauer ist auch noch nicht durchgedrungen. Dafür war keine Zeit, als soviel erledigt werden musste. Das was wir durchgemacht haben, ist existentiell, in jeder Hinsicht. Junge Menschen sollen das nicht erleben müssen. Ein frommer Wunsch...
Einer muss stark sein. Und eigentlich will ich das nicht mehr müssen.
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Re: AlexandraX Tagebuch
#11: 21.12.2022 22:50:12
Hey Alexandra,
Ich mag deine Art, Dinge zu reflektieren, sehr gerne! Du bist Herr deiner Sinne, auch wenn das Einem manchmal so Vieles abverlangt! Eine Persönlichkeit, die viel erleben durfte! Ich schreibe dies bewusst, denn erleben müssen, können Viele  ;) Etwas daraus zu machen, können leider nur wenige... weiter so! Und dein Sohn- ja, er muss auch einen Weg gehen.... aber du bist da, Mama! Egal, was er nun macht- mehr kannst du nicht machen! Jeder trägt irgendwann und irgendwie sein Leben!
ABER: DU bist da! Alles Weitere muss er tun....
LG MiLu
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.....continued.....
 
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Re: AlexandraX Tagebuch
#12: 27.12.2022 20:00:54
Liebe MiLu herzlichen Dank für Deinen Zuspruch!
Weihnachten war nicht so wie befürchtet. Gottseidank. Wir verbrachten den Heiligen Abend woanders als sonst. Damit die Trauer nicht lähmt. Das war gut so. Denn mein Sohn teilte seine Trauer mit einem Gleichaltrigen, das war schön zu sehen. Und dadurch entstand eine unverhoffte Nähe, die tröstet.
Und das schönste und einzige Geschenk war die Nachricht eines Betreuers. Ich bin so erleichtert, zum Teil wenigstens.
Es krachte auch kurz zuvor zwischen Sohn und mir: das verlorene Vertrauen lässt sich eben nicht anstellen, sondern muss erarbeitet werden. Das habe ich pragmatisch geäußert. Warum soll ich hinterm  Berg halten mit meinen Gefühlen, sie soll der Spielsüchtige gern wissen. Das gehört auch zur Übernahme der Verantwortung. Genauso wie ich meine Verantwortung ernst nehme: die Angst bei mir zu lassen, keine Kontrolle auszuüben, kein Beschützenwollen und keine Wut durch Abwehr der Tragödie. Jeder muss eben einen Eiertanz machen. So ist es eben.
Das wichtigste ist mir immer, dass wir eine Verbindung haben, sie pflegen, egal was ist.
Es geht mir gut, endlich mal.
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Re: AlexandraX Tagebuch
#13: 30.12.2022 16:25:18
Heute ist ein weiterer schwerer Tag. Ich sehe, dass das Konto leer ist, wieder gespielt. Drei Tage nach Gehalt. Und die Fixkosten können nicht bezahlt werden. Ich tue es nicht. Das Muttetherz ruft "hilf", der Verstand sagt "Nein, nicht so". Worin besteht meine Aufgabe, außer loslassen und Angst in Schach halten?
Angst vor Beschaffungskriminalität, vor Verlust der Wohnung, der Arbeit, der Existenz, Angst überall.
Gerade habe ich wieder vom Suizid eines Spielers erfahren. Das ist entsetzlich.
Wie/ womit kann ich eine Hand reichen ohne in die Co- Rolle zu rutschen, die das Spielen am Laufen hält? Oder ist das bereits falsch, jede Handreichung ist bereits eine Co- Handlung??
Zusehen zu müssen ist furchtbar, erfordert unmenschliche Kräfte.
Ich fühle mich so hilflos.
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Re: AlexandraX Tagebuch
#14: 30.12.2022 17:02:32
Hallo Alexandra,

also meiner Meinung hast Du gerade einfach due Aufgabe, auf dich selbst aufzupassen. Es geht dir selbst nicht gut. Und du solltest darauf achten, dass es dich nicht selbst komplett in den Sumpf zieht und dir die Luft zum atmen nimmt.
Mache alles was dir gut geht: lies ein Buch, koch dir etwas gutes, mach einen Spaziergang, triff dich mit einer Freundin. Alles was Deiner Seele gut tut ist gerade richtig!!!
Wenn Du auf Dich aufpasst tust du auch für ihn etwas gutes.
Und mehr kannst du im Moment denke ich einfach nicht für ihn tun.
Und wenn es so ist, dass er sein ganzes Erbe verzocken muß, dann ist es so.
Vielleicht muß er so lange im freien Fall sein, bis er hart unten aufprallt. Von Mama gefangen werden reicht nicht. Und wenn das so ist, dann ist es so.
Wenn er aufwacht, wird er sich Hilfe holen. Und Du wirst merken, wann er so weit ist.

Kümmere Dich um Dich, Alexandra!!! Kümmere Dich um Dich!!!

JJ
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