Nachdem ich mich ausschließlich um mich gekümmert habe, sind die Nerven etwas besser. Aber immer noch ist es ganz dünnes Eis. Jeden Tag bekomme ich den Spiegel vorgehalten: meine Krankheiten schlagen doppelt zu, wenn ich nicht akribisch auf mich aufpasse.
Und ich möchte nie wieder so krank sein, wie ich war. Es ist ein Balanceakt, das richtige Maß an Selbstfürsorge und Dasein für Sohni hin zu bekommen.
Ist schon klar, die Phasen, die Angehörige durchlaufen, haben es in sich. Weg vom Beschützen, parallel vertrauen zu lernen, weg vom Kontrollieren (was praktisch automatisiert war, es hat gedauert, das zu sehen) und die Abwehr, die bis auf einen Moment, nicht vorhanden ist.
Ich will keine Vorwürfe machen, es ist destruktiv und nützt niemandem.
Mit etwas Abstand konnte ich mich an die Hilfe, die ein Beistand ohne Beschönigung ist, etwas herantasten. Ich muss sehr überlegen, in welcher Form die Hilfe sein muss, um die Sucht nicht unbewusst am Laufen zu halten. Gestern habe ich nach Tagen endlich das richtige Angebot gemacht. Und die Antwort kam prompt. Ok.
Ich habe selbst viele Jahre gelitten, weil niemand für mich da war. Und deshalb kenne ich die Verzweiflung, die Sprachlosigkeit, die Angst, unterzugehen. Eine Krise nicht mehr meistern zu können, weil die Kraft aufgebraucht ist. Deshalb und nur deshalb habe ich zu sehr beschützt, gegängelt. Das verstehen viele nicht gleich. Kann man auch nicht erwarten. Aber ich erwarte Geduld, aufrichtiges Interesse, oder dies gar nicht. Das muss jeder selbst entscheiden. Es steht niemandem zu, zu bewerten. Selbst wenn ich 1000 Meilen in den Schuhen eines anderen gegangen bin, weiß ich doch nichts von ihm.
Und nun strecke ich meine Hände nach Sohni aus, nur als Angebot. Und ich lasse ihn machen, ohne ihn fallen zu lassen.
Anfang des Jahres spürte Sohnis Vater, dass etwas nicht stimmt und ich bin sicher, er hätte einen Weg gefunden, einfühlsam und liebevoll und ernsthaft. Und nun, zu Weihnachten erleben Sohni und ich die riesige Lücke, die er hinterlassen hat. In dem ganzen Drama ist die Trauer zu kurz gekommen, hatte viel zu wenig Platz. Es bricht mir das Herz, dass Sohni so früh seinen Vater verlor. Diese Verbindung war von Anfang an sehr eng mit Freiheitsdrang auf beiden Seiten. Ich kann nur zusehen und da sein, auffangen so gut es geht. Meine Trauer ist auch noch nicht durchgedrungen. Dafür war keine Zeit, als soviel erledigt werden musste. Das was wir durchgemacht haben, ist existentiell, in jeder Hinsicht. Junge Menschen sollen das nicht erleben müssen. Ein frommer Wunsch...
Einer muss stark sein. Und eigentlich will ich das nicht mehr müssen.