Mhhh...
Als ich diesen Thread sah, erinnerte es mich daran, daß ich in einer Schublade vor Kurzem einen alten Personalausweis gefunden habe - den ersten, um genau zu sein. Ich hatte ihn mal verloren, und später wiedergefunden. Auf dem Foto trage ich eine Halskette mit einem Kreuz, die hatte mir meine Oma einmal geschenkt, als ich mit ihrem Schmuckkästchen spielte. Naja... eigentlich habe ich nur reingeguckt, als sie etwas rausholte, und gefragt, was sie damit am Hut hat. Sie war ein sehr herzlicher Mensch, genau wie meine Tante, und ganz anders als meine Mutter oder ich. Statt mir zu sagen, ich solle 'meine Finger davonlassen', erklärte sie mir, sie erinnere sich nicht dran, wo es herkäme, es war irgendwie schon immer da drin, und fragte mich, ob ich es haben möchte. Das war mir unangenehm. Ich hatte doch nur geguckt... ich wollte doch gar nichts haben... und ich sollte doch nicht neugierig sein. Sie bestand drauf, es wäre absolut in Ordnung.
Ich reagierte nicht und schämte mich sogar ein wenig, als sie sie mir ummachte.
Als ich das Bild sah, fragte ich mich plötzlich, wo die eigentlich geblieben ist. Nicht die abgebildete Person, das ist eine Frage für einen anderen, mutigeren Tag, sondern die Kette. Ich weiß noch, daß ich sie sehr lange getragen habe, und deswegen oft gefragt worden bin, ob ich religiös sei. Meistens mit einem spöttischen Unterton.
"Du? Das paßt überhaupt nicht."
Ich weiß nicht, warum ich sie trug, oder warum und wann ich sie irgendwann abnahm. Verpfändet habe ich sie aber nicht, da bin ich eigentlich ziemlich sicher. Hätte nicht wirklich gelohnt.
Ich überlege gerade, mal danach zu suchen.
Offiziell bin ich evangelisch-lutherisch, das ist wie bei Fred - von Geburt an war es so. Ich zahle sogar immernoch Kirchensteuer, bin nie ausgetreten. Ich bin getauft, aber nicht konfirmiert - ich wollte es damals nicht, viele meiner Freunde haben keinen Hehl daraus gemacht, es nur wegen der Geldgeschenke zu tun. Später stand ich erneut vor der Entscheidung... um kirchlich heiraten zu können, hätte ich es nachholen müssen, aber ich habe mich wieder dagegen entschieden. Meine Schwiegermutter war da ziemlich enttäuscht, sie liebt solche Klassiker. Man sollte sowas meiner Meinung nach aber aus Überzeugung tun, und nicht, um einen Vorteil daraus zu ziehen.
Abgesehen von ein paar Taufen und Hochzeiten, und ein paarmal in meiner Jugend, wenn ich mich nach deren Konfirmantenunterricht mit Freunden getroffen hatte, war ich nie in einer Kirche. Ich mochte es aber nie besonders. Übertrieben freundliche Menschen und kalter Stein, das fand ich irritierend, es paßte nicht zusammen. Normalerweise waren Leute nicht so nett, und ich fragte mich immer, ob die zu Hause auch so sind, oder ob das einfach nur deren Job ist.
Als ich in der fünften Klasse war, fragte mich dann mal ein steifer, grimmiger Herr im Eingangsbereich einer anderen Kirche, ob ich denn überhaupt katholisch sei. Ich verneinte, und daraufhin bat er mich schroff, doch bitte draußen zu warten, während meine beiden Schulfreunde drinnen etwas abholten. Ich kam mir echt dumm vor. Ob er Mitarbeiter, oder nur Besucher, war, weiß ich allerdings nicht.
Was ich aber aus der Adressliste auf der Rückseite eines Flyers, den ich mal beim Warten im Einwohnermeldeamt gelesen habe, weiß, ist, daß dort, in einer Nachbarstraße der Wohnung, in der ich aufwuchs, heutzutage einmal wöchentlich ein Treffen für Suchtkranke stattfindet.
Manchmal ist der erste Eindruck eben nicht ausreichend für ein endgültiges Urteil.
Ich habe nicht wirklich viel Kontakt zu meiner Familie, doch letztes Jahr rief mich meine Schwester etwas verlegen an, ob ich eigentlich inzwischen auch aus der Kirche ausgetreten sei, sie bräuchte nämlich einen Taufpaten. Also mich. Ich müsse auch nichts tun, so versicherte sie gleich eilig, außer ihr die Bescheinigung zu schicken. Ich hatte doch noch gar nichts gesagt... tja... der Ruf und so... Sie meinte das nichtmal böse. Bin halt kein sehr soziales Wesen.
Es war also nicht, weil ich so eine unglaublich gute Wahl wäre, sondern weil ich die einzige Person bin, die noch in der Kirche ist.
Sicher. Klar. Mach ich. Dann wechselten wir das Thema. Von da an war das Gespräch etwas angenehmer.
Zum Glück hat meine Nichte zwei Paten... von denen mindestens einer dummerweise Kirchenmitglied sein mußte.
Ich habe mal aus Neugier die alte Schulbibel meiner Mutter durchgelesen, mich aber nie wirklich mit Glaube oder Religion auseinandergesetzt. Auch Hilfsbereitschaft oder Nächstenliebe gehören bei mir definitiv nicht zu den ausgeprägteren Eigenschaften. Insofern habe ich da gar keine Berührungspunkte.
Für mich ist Religion, und auch Spiritualität, etwas Individuelles. Jedem das Seine.
Die Institution an sich ist da nichtmal relevant. Kirchen, Synagogen, Tempel oder Moscheen braucht es nicht.
Ich habe mich nie wirklich gefragt, ob es einen Gott gibt. Klar, es gab Zeiten, da hätte ich mir gewünscht, es wäre so - irgendjemand mußte ja Schuld sein - aber eigentlich stand für mich immer fest, daß das eine Sache der inneren Einstellung ist, und dazu gehört auch das Thema Zölibat, sowie jede andere Enthaltsamkeit von weltlichen Dingen. Jeder richtet sein Leben so aus, wie er mag. Dazu zählen auch Werte und die Frage danach, was einen 'antreibt'. Manchmal ist das nicht leicht zu definieren, oder überhaupt zu erkennen, nichtmal für mich selbst.
Ich selber bin da definitiv nicht die tragende Kraft, das war noch nie sehr verläßlich.
Ich weiß, daß ich wahnsinniges Glück habe, heute dort sein zu dürfen, wo ich bin. Das ist für mich nicht selbstverständlich.
Sicher, ich habe das selbst in der Hand, aber ich hatte eine zweite Chance, wo Millionen andere in vielen Teilen der Welt nichtmal eine Erste hatten.
'Gerecht' ist das nicht.