Spieler & Angehörige > Tagebuch

Der Weg ist das Ziel - Stopp den Zock!

<< < (2/8) > >>

Miele1887:
03 November 2016, 09:35:11

Guten Morgen :)

Gestern Abend habe ich mich mit meiner Freundin hingesetzt und schonungslos meine Finanzen offen gelegt. Was soll ich sagen... Es hat mich nicht mal überrascht, was sich da über die Jahre und gerade dieses Jahr angehäuft hat. Ich stehe mit knapp 25.000 Euro in der Kreide. Einige Sachen davon hatte ich sogar schon fast wieder ausgeblendet.

Was mich wirklich erschreckt hat ist die Tatsache, dass ich allein dieses Jahr zwei Kredite mit über 10.000 Euro aufgenommen habe. Eingeredet habe ich mir, dass ich damit Schulden abbezahlen will. Effektiv habe ich aber mehr als drei Viertel verzockt. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, und das will ich ab jetzt sein, dann habe ich diese Kredite in dem Wissen beantragt und aufgenommen, dass ich damit erstmal wieder flüssig bin und spielen kann. Ich war mir dessen bewusst und habe es trotzdem gemacht. Und es war okay für mich. Das ist Wahnsinn.

Meine Freundin war erwartungsgemäß platt. Mit so einer Summe hat sie nicht gerechnet, hatte ich doch in bester Lügenbaron-Manier alles vertuscht, abgestritten und manipuliert, damit mein Lügengerüst weiter aufrecht stehen bleibt.

Nun haben wir alle Kredite, Gläubiger, Ratenzahlungen, monatlichen Ausgaben, etc. in einer Excel-Tabelle erfasst, einen Tilgungsplan erstellt und ich darf heute und in den nächsten Tagen diverse Gläubiger anrufen und um Verkleinerung der Raten bitten, da ich es sonst nicht schaffe, alles gleichzeitig zu bedienen. Es werden so schon harte Monate die nächste Zeit, von meinem Geld werde ich lange Zeit nichts sehen, was aber auch gut so ist.

Desweiteren habe ich meine Bankkarte ausgehändigt und meiner Freundin die Zugangsdaten für mein online-Banking gegeben, welche Sie nun ändern wird. Somit habe ich auch keine Vollmacht mehr über mein Geld, was für den Moment und die nächste Zeit das beste ist. Lediglich ein Taschengeld von 5-10 Euro die Woche steht mir zur Verfügung, davon kann ich mir dann Tabak kaufen oder morgens vor der Arbeit mal ein Franzbrötchen :)

Auch hier muss ich sagen, dass ich vor meiner "Offenbarung" ihr gegenüber niemals ehrlich war, was Geld und Finanzen anging. Diese Themen waren IMMER ein wunder Punkt für mich und falls wir doch einmal darüber gesprochen haben, wurde ich sehr schnell launisch und ihr gegenüber auch unfair. Trotzdem habe ich es geschafft, sie so weit zu manipulieren, dass diese Themen eigentlich monatelang nicht mehr angesprochen wurden weil ich ihr zu verstehen gegeben habe, dass das meine Sache ist und sie das nichts angeht. Na klar, ich wollte ja auch nicht auffliegen. Es ist wirklich erschreckend zu sehen, wie abgebrüht und berechnend man wird um seine Sucht weiter auszuleben, finde das faszinierend und abstoßend zugleich.

Jetzt aber so offen und ehrlich ihr gegenüber zu sein, auch was dieses Thema angeht, fühlt sich neu und unglaublich gut an. Es schafft eine neue Ebene des Vertrauens zwischen uns die es bisher so nicht gab.

Eine Frage hab ich an euch:

Da ich diverse Gläubiger anrufen muss um eine Ratenzahlungsvereinbarung zu treffen bzw. um die Raten zu verringern, macht es Sinn zu erzählen, dass man pathologischer Glücksspieler ist und sich jetzt in Therapie begibt? Ich will definitiv zahlen und langsam aber sicher meinen Schuldenberg abtragen, allerdings brauche ich dafür das Entgegenkommen der Gläubiger.

Hat damit jemand von euch Erfahrungen? Sollte ich evtl. doch eine Schuldnerberatung machen um der ganzen Sache mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen?

Wäre nett, wenn sich dazu jemand äußern könnte :)

Bis dahin wünsche ich euch einen sonnigen, wenn auch eiskalten und frostigen Tag!

Christian

Miele1887:
07 November 2016, 17:01:28

Hallo zusammen :)

Wollte hier nur kurz alles auf den aktuellen Stand bringen, vielleicht auch eher für mich als für euch, ist immer schön das Erlebte und Verarbeitete hier zu dokumentieren.

Heute vor einer Woche hab ich reinen Tisch gemacht und ich bereue NICHTS! Es war die beste Entscheidung meines Lebens und ich bin froh, sie getroffen zu haben!

Die ersten Dinge auf dem Weg in Richtung Spielfreiheit und heraus aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit sind in Angriff genommen. Ich habe mich meiner Freundin offenbart, ihr ehrlich und schonungslos alles erzählt. Ich war bei der SHG und werde morgen wieder hingehen, worauf ich mich auch schon freue. Zusammen mit meiner besseren Hälfte habe ich alle meine Schulden, Kredite, etc. aufgedröselt und tabellarisch aufgelistet. Auf Anraten von nutella (vielen Dank dir nochmal für den netten Hinweis bzgl. des Vergleichs) habe ich die Gläubiger angeschrieben, mit denen ich die weiteren Zahlungsmodalitäten abklären muss und warte dort nun auf Rückmeldung. Desweiteren habe ich meine Bankkarte abgegeben, das Tageslimit meines Kontos auf 50 Euro runtergesetzt, meiner Freundin die Zugangsdaten zu meinem Onlinebanking übergeben und zusammen mit ihr für die folgenden Monate Daueraufträge eingerichtet, sodass finanziell nun alles einen Rahmen bekommen hat und meine Freiheiten in dieser Hinsicht (und auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin!) extremst beschnitten sind.

Was nun noch zu tun ist:

Offline-Sperren in den Suchttempeln hier in der Stadt (online ist ALLES gesperrt, wo ich mich jemals angemeldet habe, Browser-Einschränkungen sind in Arbeit).

Eine Frage stellt sich mir: Die Leiterin der SHG meinte zu mir, dass ich jetzt erstmal ein paar Wochen SHG abwarten soll und selbst schauen muss, ob ich eine Therapie möchte. Ich selbst sehe mich nicht in einer stationären Therapie, was mich aber wirklich interessieren würde ist, WARUM ich Spieler geworden bin, welche Probleme ich EIGENTLICH damit verdrängt habe, etc. Wäre da der Gang zu einem Psychologen nicht sinnvoller? Oder doch ein Sucht-Therapeut, der beides aufgreift (also Spielsucht und, ich nenne es mal "Ursachenforschung"?).

Zu was könnt ihr raten? Bzw. was macht mehr Sinn? Ich weiß, es gibt nicht die Universal-Antwort  für jeden von uns. Jeder tickt anders, jeder braucht seine auf ihn zugeschnittene Behandlung, das ist mir klar. Trotzdem fische ich, was dieses Thema angeht, irgendwie ein bisschen im Trüben.

Abschließend ein kurzer Einblick in meine Gefühlswelt :D

Ich fühle mich zur Zeit sehr gut. Ich weiß, dass es die richtige Entscheidung war, die ich getroffen habe. Es ist auch nicht so, dass ich krampfhaft die Tage zähle, an denen ich jetzt nicht spielen war (sind ja auch nicht so viele bisher). Zu wissen, dass ich nicht gespielt habe erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit. Ich hätte seit Freitag mehrfach die Gelegenheit dazu gehabt, auch weil wieder etwas Geld eingegangen ist (mache nebenher und unter der Hand ab und an mal ein paar Drucksachen fertig, Flyer, Visitenkarten, Briefpapier, etc. Bin gelernter Mediengestalter). Aber ich habe gar nicht wirklich das Verlangen gehabt. Natürlich denke ich hin und wieder ans Zocken, dafür gibt es auch viel zu viel, was einen daran erinnert und einen triggert, sei es der Weg zur Arbeit, irgendwelche Geräusche, etc. Aber ich bin auf einem Guten Weg und will es schaffen. Sicherlich ist auch noch eine Menge der anfänglichen Euphorie vorhanden, aber warum diese nicht positiv nutzen? :)

Euch einen schönen Abend! Kann nur immer wieder sagen, dass ich froh bin hierher gefunden zu haben, ehrlich! Mittlerweile hab ich das halbe Forum und seine Beiträge durch und es steckt so vieles in diesen Dingen, das man sich mitnehmen kann. Das ist ganz stark!

Gruß, Christian

Miele1887:
11 November 2016, 10:08:09

Guten Morgen, Forum :)

Mir geht es nach wie vor sehr gut, seit meiner "Offenbarung" bin ich spielfrei geblieben und freue mich über jeden einzelnen dieser Tage! Erstaunlich, mit wie wenig Geld man eigentlich auskommt, wenn man nicht jeden Cent in die Spielhalle trägt oder online verpulvert.

Die zweite Sitzung in der SHG war wieder sehr aufschlussreich und ging diesmal fast 3 Stunden :D War am Dienstag erst um kurz vor 23 Uhr zuhause und danach echt geschafft. Der Kopf bekommt dort wirklich ne Menge Input und man merkt richtig, wie Mechanismen in Gang gesetzt werden, die dazu führen, dass man selbstreflektierter wird, in sich geht und nachdenkt. Ich habe mich immer gefragt, weshalb ich spiele, was der Grund dafür ist. Das war auch Thema am Dienstag und mir wurde ein Gedankenanstoß gegeben, den ich vorher so nicht hatte.

Was bringt es mir, zu wissen, warum ich spiele? Was genau habe ich davon, den Grund zu kennen? Würde es etwas an der Situation ändern, in der ich mich befinde? Würde es alles ungeschehen machen, was passiert ist? All die Lügen? All die verlorene Zeit und das kaputtgespielte Selbstwertgefühl? Wieso versuche ich so krampfhaft ein Etikett dafür zu finden, was mit mir nicht stimmt? In welche Schublade will ich mich einordnen?

Ich habe darüber seit Dienstag viel nachgedacht und ich glaube, dass ich zu keiner Antwort auf diese Fragen komme. Und dass ich auf keine Antwort kommen will. Stattdessen möchte ich akzeptieren, dass ich so bin, wie ich bin. Ich habe eine Suchterkrankung, die mich mein Leben lang begleiten wird. Das bin ich. Und ob das jetzt daran liegt, dass ich als Kleinkind nicht genug Aufmerksamkeit von meinem Vater bekommen habe oder weil mir ADHS diagnostiziert wurde und meine Eltern mich mit Ritalin vollgepumpt haben, SO WHAT!

Ich habe so lange nach Gründen gesucht, wieso, weshalb, warum. Es macht mich rastlos und es ist unbefriedigend für mich. Der wirklich simple Gedanke, einfach zu akzeptieren, dass ich bin wie ich bin, kam mir nie.
Das mag total banal klingen, zeigt aber auch, wie verkopft ich im Umgang mit mir selbst bin. Für mich ist das eine völlig neue Erkenntnis mit der ich mich total wohl fühle :D

Sich der SHG anzuschließen, war eine verdammt gute Idee. Es tut unfassbar gut, sich anfangs noch völlig fremden Menschen so schonungslos zu öffnen. Uns verbindet alle die Sucht, es ist wie ein verschworener Kreis, der Geheimnisse austauscht, die keine mehr sein sollen. Und irgendwie ist es ja auch so. Mit jeder Lüge, jedem Kapitel der Spielerkarriere, das man den anderen gegenüber preisgibt, kommt etwas zurück ins Gleichgewicht. Ich bin nicht spirituell oder religiös, aber der Begriff "Karma" passt hier ganz gut, finde ich :) In so gut wie jeder Geschichte, die ein anderer erzählt, kann ich mich selbst sehen und bekomme einen Spiegel vors Gesicht halten. Was ich in diesen Spiegeln sehe, ist nicht nur die Gegenwart. Bei manch einem Spiegel ist es die Vergangenheit und bei einem anderen die Zukunft, sowohl eine, die ich nicht leben möchte als auch eine, für die sich der Weg lohnt. Lehrreich ist es aber in jedem Fall.

Wie ihr seht, es beschäftigt mich, was dort mit mir passiert, und das ist gut so!

Ich wünsche euch ein schönes Wochenende, lasst es euch gut gehen und passt auf euch auf! :)

Gruß, Christian

Miele1887:
15 November 2016, 16:34:36

Hey, Leute :)

Heute Abend ist wieder SHG. Seit Erstellung dieses Tagebuches bin ich spielfrei und ich muss sagen, dass es mir relativ leicht fällt, nicht zu spielen. Trotzdem erwische ich mich dabei, wie sich der Suchtteufel immer wieder kurz in meinen Kopf stiehlt und meine Gedanken manipuliert.

Es ist irrwitzig: Jetzt, nach zwei spielfreien Wochen, denke ich, dass ich es doch total unter Kontrolle habe. Ich muss nicht spielen, niemand zwingt mich dazu. Es ist überhaupt kein Problem für mich. Wenn ich jetzt noch 3-4 Mal in die SHG gehe, dann kann ich mir das danach auch schenken. Ich bin ja stark genug, man muss es nur wollen.

Kennt ihr solche Gedanken? Sowas geht mir momentan durch den Kopf und es macht mir ein bisschen Angst. Ich weiß, dass das absoluter Schwachsinn ist, ich habe jahrelang gezockt um es besser zu wissen. Es ist wirklich ekelhaft, wie mir die Krankheit diese Gedanken einflößt.

Ich versuche mir dann zu vergegenwärtigen, wie weit runter mich die Spielsucht gebracht hat, was sie kaputt gemacht hat, wie sie mich verändert hat. Und dass es nur einen Gewinner gibt, wenn ich mein Geld in die Spielhalle trage. Nicht mich. Das klappt auch sehr gut, trotzdem schleichen sich solche Gedanken zwischendurch aber immer wieder mal ein. Es reicht, sie wegzuwischen und mich abzulenken.

Was macht ihr in solchen Augenblicken?

Davon abgesehen geht es mir aber sehr gut, bin nach wie vor der Meinung, dass das die beste Entscheidung seit langer langer Zeit war und bin auch immer noch motiviert, den Weg weiter zu gehen.

Grüße, Christian

Miele1887:
16 November 2016, 10:21:12

Einen wunderschönen!

Eben gerade hatte ich einen unschönen Zwischenfall, den ich kurz schildern möchte. War bei youtube unterwegs und hatte dort während meines Spielens oft Videos geguckt, die Leute in Spielhallen aufgenommen haben, von Gewinnbildern, Serien, etc. Auf jeden Fall wollte ich nur Musik anmachen und habe dann auf der Startseite Videoempfehlungen bekommen, eben von diesen Spielhallen-Kanälen. Es kam wie es kommen musste und ich habe mir ein Video angeguckt  :(

Jetzt fühle ich mich schlecht damit. Ich weiß nicht genau, wie ich das einordnen soll. Hätte ich es wirklich nicht gucken wollen, dann hätte ich es auch nicht getan, richtig? Meine Gedanken beim Anschauen waren zwiespältig, auf der einen Seite hat es schon einen Reiz auf mich ausgeübt, auf der anderen war mir zu jeder Zeit des Videos bewusst, dass alles daran schlecht und falsch ist und dass ich es nicht gucken sollte.

Ich werte das für mich persönlich als kleinen Rückschritt, denn das ist das erste Mal seit mehr als 2 Wochen, dass ich mich bewusst mit diesem Mist konfrontiert habe. Und wohl eher nicht aus Neugier, was es mit mir macht, sondern um mich anzufixen. Zwar verspüre ich jetzt unmittelbar danach nicht das unbändige Bedürfnis zu spielen, trotzdem denke ich, dass es ein eindeutiges Zeichen dafür ist, dass ich aufpassen muss.

Vielleicht habt ihr ja ähnliches erlebt und könnt mir eure Meinung dazu schreiben, würde mich freuen :)

Bis dahin euch ein schönes Bergfest!

Gruß, Christian

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Beim Bedanken trat ein Fehler auf
Bedanken...
Zur normalen Ansicht wechseln